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Kurier" vom 24.05.2012 Seite: 9 Ressort: Wirtschaft Wi, Abend, Länder, Morgen Verbauung
Betonwüste frisst Ackerland
Neue Straßen, Einkaufszentren, Einfamilienhäuser: Österreich baut gern. Doch die Bauern schlagen Alarm.
Betrachtet man Luftbildaufnahmen aus den 1990ern, wird man erstaunt sein, wie stark sich die Grenzen so mancher Bezirksstadt verändert haben. Wo einst Äcker und Wiesen dominierten, hoffen heute Tankstellen, Diskonter und Fachmarktzentren auf den Besucheransturm.
"Zwischen 1995 und 2010 gab es eine irrsinnige Dynamik bei der Errichtung von Fachmarktzentren auf der grünen Wiese", sieht Michael Oberweger, Leiter Consulting beim Standortberater RegioPlan, österreichweit das gleiche Bild. Von 202 in Österreich geöffneten Fachmarktzentren (FMZ) seien 95 Prozent jünger als 15 Jahre. Hauptkennzeichen der FMZ: Sie sind meist kleiner als 20.000 , günstig gebaut und stehen auf der einst grünen Wiese am Stadtrand.
Das letzte Kriterium ist es, das Österreichs Bauern Sorgen bereitet. "Pro Tag werden in Österreich 15 Hektar fruchtbares Ackerland versiegelt oder verbaut", warnt Gerhard Wlodkowski, Präsident der Landwirtschaftskammer. Zur besseren Vorstellung: Das entspricht 21 Fußballfeldern pro Tag - oder etwas weniger als der gesamten Verkaufsfläche der Shopping City Süd. Aufs Jahr gerechnet summiert sich das, warnt Kurt Weinberger von der Hagelversicherung: "Pro Jahr verschwindet damit die gesamte Agrarfläche Wiens."
Wlodkowski ortet Handlungsbedarf bei den Raumordnungsvorschriften in den Ländern. "Schon 2001 hat sich die Raumordnungskommission das Ziel gesetzt, dass der Flächenbedarf auf einen Hektar pro Tag sinkt." Mit acht Hektar wäre er heute schon zufrieden.
Um auf die Lage aufmerksam zu machen, haben sich die Bauern Unterstützung aus Deutschland geholt: Der deutsche Bauernbundpräsident Gerd Sonnleitner hat sich mit einer Petition im Bundestag unlängst die Zustimmung aller Parteien geholt. Gesetze sollen folgen. Denn, so Sonnleitner: "Auf Beton wächst kein Getreide."
Laut Statistik Austria waren 2011 rund 1,36 Millionen Hektar - umgerechnet 16,2 Prozent - der Staatsfläche Ackerland. In fünf Jahren nahm die Zahl um 1,5 Prozent ab. Geht der Trend so weiter, sind Österreichs Äcker in rund 400 Jahren zubetoniert.
Während das Ackerland schrumpft, wächst das Straßennetz um rund sechs Prozent: So wurde zwischen 2000 und 2005 Österreichs Autobahnen- und Schnellstraßennetz um 117 Kilometer ausgebaut.
Trendwende
Nur bei den Einkaufszentren auf der grünen Wiese zeichnet sich Entspannung ab: "Sehr viele Standorte sind bereits besetzt", sieht Oberweger eine Abkühlung beim Neubau. Hinzu kämen strengere Raumordnungsvorschriften - etwa 2009 in Niederösterreich - die den Neubau von Shoppingcentern erschwerten. Der Forderung der Bauern, leer stehende FMZ abzureißen und wieder in Acker zu verwandeln, gibt er wenig Chancen. "Das geht, aber die Frage ist, ob es sich rechnet."
Das Straßennetz wächst, das Ackerland schrumpft: Täglich verschwinden 15 Hektar Agrarland unter Asphalt oder Beton. Vom 2001 gesteckten Ziel – nur ein Hektar – ist man meilenweit entfernt
Ein Alarmsignal
Ökonomie und Ökologie sollten vereinbar sein - die Praxis schaut oft anders aus. VON Michael bachner
Der Aufschrei der Bauern über den Verbauungswahn ist nur allzu verständlich. Die eine Partei wettert, dass der Kraftwerksbau die letzten Flussparadiese zerstört. Die andere Partei schimpft auf den Zweitwohnungsbau, der oft überhand nimmt. Beim Straßenbau, den Stromleitungen und Windradln schaut es nicht anders aus, außer es geht bei der nächsten Sonntagsrede wieder um Wirtschaft und neue Jobs. Dann werden die "anderen" Argumente hervorgeholt. Bei der Betriebsansiedlung, beim Einkaufszentrum geht's schließlich ums liebe Geld.
Schuld an der Fehlentwicklung ist nicht nur ein überzogener Föderalismus, der einzelnen Bürgermeistern und Landeshauptleuten den großen Überblick in der Raumplanung zumutet. Auch die Bevölkerung ist tief gespalten, wie eine Volksabstimmung in der Schweiz gezeigt hat. Nur eine knappe Mehrheit sprach sich gegen die übermäßige Verbauung der Berge aus. Fast hätte die Ökonomie wieder über die Ökologie gewonnen. Interessant wäre, wie so eine Abstimmung in Österreich ausginge.
michael.bachner